abc-Etüde, und zugenäht

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wörter für die Textwochen 01/02 des Jahres 2022 stiftete Ludwig Zeidler. Sie lauten:

Hoffnungsschimmer
unverzeihlich
nähen.


und zugenäht (Teil 1)

„Du kannst aufhören, es ist vorbei.“

„Was meinst du mit vorbei“, fragte sie vorsichtig. Ihre Stimme flirrte und war so dünn wie der Faden, den sie gerade in das Nadelöhr gefädelt hatte.

„Sie haben die Maskenverordnung geändert.“

Sie schluckte. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie den Faden aus Versehen wieder aus dem Nadelöhr zog. „Und das heißt?“

„Du weiß was das heißt“, sagte er und konnte seine Wut kaum zurückhalten. Er wollte nicht, dass seine Wut sie traf, aber er kochte regelrecht über.

Sie sah ihn fragend und schweigend an.

„Wir können unsere Masken in die verdammte Tonne kloppen“, schrie er sie an. Er fand es selbst unverzeihlich, dass er sie so anschrie, aber er schaffte es nicht sich zu beherrschen.

„Nein“, sagt sie und schloss die Augen dabei. „Das dürfen sie doch nicht tun.“

„Dürfen? Sie haben es getan, ab Montag sind nur noch medizinische Masken erlaubt.“

„Aber…“ Tränen liefen über ihre Wangen. Sie sah auf den Stapel bunter, mühsam handgenähter Mund-Nasen-Masken, die sie in den letzten Tagen genäht hatten, um irgendwie über die Runden zu kommen, nachdem sie ihr Geschäft schließen mussten. Der Online-Verkauf hatte überraschend vielversprechend begonnen.

„Kein aber.“ Er fegte über den Tisch und die bunten Masken flogen wie ein Regenbogen durch den Raum. An die Kosten für die neuen Stoffe, die sie extra für die Produktion der bunten und offensichtlich sehr beliebten Masken auf sich genommen hatten, wollte er gar nicht denken.

„Gibt es denn keine Chance, dass unsere Masken als medizinische Masken anerkannt werden? Wir könnten doch irgendwelche Filter einnähmen?“ Sie suchte verzweifelt nach einem letzten Hoffnungsschimmer.

„Nein, die Definition für medizinische Masken ist eindeutig. Die haben uns im wahrsten Sinne des Wortes den Lebensfaden für unseren Laden durchgeschnitten“, sagt er kalt.

17 Gedanken zu “abc-Etüde, und zugenäht

  1. Ja, an die habe ich auch schon öfter gedacht, da schossen am Anfang ja wirklich viele kleine Shops aus dem Boden … 😧😢
    Sehr gut geschrieben, die Etüde bebt förmlich vor unterdrückter Wut.
    Morgenkaffeegrüße und danke! 😉🌧️☁️☕🍪👍

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  2. Ich habe auch noch einen kleinen Stapel selbstgenähter Masken, sind auch zum Ladenhüter geworden. Vielleicht werde ich die Reste mal irgendwann als Erinnerungsstücke an die Pandemie los😁. Schön, dass du daran gedacht hast.

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  3. Ausgezeichnet erzählt, ja. Ich denke an die junge Mutter hier, die mit großer Mühe und Engagement eine Werkstatt für Behinderte aufbaute, und ihr erster wichtiger Auftrag war: Masken nähen. Welch ein Segen! Natürlich sind Masken völlig sinnlos bei einer Epidemie, aber sie brachten Beschäftigung. Nun, alles ist In der Veränderung, die Kleinen suchen ihre Chance und fallen auf die Nase. Der Mann sollte seine Wut in die richtige Richtung lenken und nicht zu Hause austoben, dann könnte was draus werden.

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  4. Stephanie

    Das kenne ich…
    Ich hätte da auch noch weit über 200 Stück liegen…
    Als es keine Masken gab wurden alle aufgefordert, sogar angefleht, jeder der irgendwie nähen kann sollte sich beteiligen und welche anfertigen.
    Zum Glück haben sich aber die Pflege- und Altenheime erstmal gefreut als sie überhaupt welche bekommen haben.
    Was ich mit meinen Resten mache… keine Ahnung…
    Inzwischen sind wir ja schon von medizinischen Masken zu nur noch FFP2 Masken gewechselt. Warten wir mal ab was da noch kommt.
    Wenn wir uns mit einem bevorratet haben, wird es nicht mehr benötigt…

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  5. Bei uns haben sich die Landfrauen ins Zeug gelegt, haben jedoch kaum Restbestände, weil sie nur auf Stoff-Spenden zugegriffen haben. Und die sind problemlos zu stornieren. Sie haben es genutzt, um bei der ganzen Aktion Flüchtlingsfrauen aus den verschiedenen Stadtteilen einzubinden und bei deren Integration zu helfen. Hier also: positiver Ausgang.

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