Der Dienstag dichtet, (V)ermächtnis– Alphabet der Stille – V

Jeden Dienstag gibt es bei Katha ein selbst geschriebenes Gedicht und ich schließe mich dem gerne an.


Aus meinem Alphabet der Stille:

Vermächtnis

und nach mir die Stille

das ist es – was ich euch hinterlasse

eine Lücke in eurer Welt

die einen Moment still zu stehen scheint

eine Lücke in eurer Zeit

die kaum spürbar verrinnt

eine Lücke in euren Plänen

die durch einen neuen ersetzt werden

eine Lücke in euren Gedanken

die wie eine Verwirrung kurz aufleuchtet

eine Lücke in eurem Fühlen

die wie eine Sehnsucht schmeckt

eine Lücke im Lärm der Welt

die euch kurz innehalten lässt

und nach mir die Stille

Der Dienstag dichtet, (U)nheimliche Stille– Alphabet der Stille – U

Jeden Dienstag gibt es bei Katha ein selbst geschriebenes Gedicht und ich schließe mich dem gerne an.


Aus meinem Alphabet der Stille:

(U)nheimliche Stille

die Stille ist nur der Auftakt für etwas Drohendes

etwas – das die Stille und alles zerreißen wird

das den Kopf und die Sinne völlig verwirrt

die Stille ist nur der Auftakt für etwas Drohendes

etwas – das aus der Angst das Chaos gebiert

in dem sich in Panik der Verstand verliert

die Stille ist nur der Auftakt für etwas Drohendes

etwas – das die Stille und alles zerreißen wird

abc-Etüde, Ansichtssache

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 06/07 des Jahres 2022 stammt von Kain Schreiber mit seinem Blog Gedankenflut. Sie lautet:

Zwerg
quer
fühlen.


Ansichtssache

„Also keine Extras?“ Der Lebensberater sah das junge Paar in einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und Besorgnis an.

„Ja, ohne Extras“, sagt sie mit einem fröhlichen und bestimmten Ton.

„Ist das ihr Ernst?“

„Ja“, sagt der zukünftige Vater. Er war etwas irritiert, dass aus dem Vorbereitungsgespräch für die anstehende Schwangerschaft ein Verkaufsgespräch geworden war. Er fühlte, wie eine wachsende Unsicherheit und Skepsis in ihm aufkeimte.

„Also ein Zwerg“, sagt der Lebensberater leise vor sich hin.

„Wie haben sie meinen Sohn gerade genannt?“ fragte er erschrocken.

„Oh, entschuldigen sie. Ich wollte ihnen nicht zu nahe treten.“

„Haben sie gerade Zwerg gesagt?“

Der Lebensberater wurde etwas rot und fummelte nervös an seinem Kragen. „Tut mir leid.“

„Was meinen sie damit? Warum sollte unser Sohn ein Zwerg werden?“

Der Lebensberater sah das junge Paar nacheinander eindringlich und direkt an. Er war mit ihnen kreuz und quer durch den Angebotskatalog an genetischen Interventionen gegangen, doch die beiden hatten alle menschlichen Add-ons abgelehnt.

„Was meinen sie damit?“, fragte der Vater nachdrücklich.

„Also mit Zwerg meinte ich nicht, dass er körperlich ein Zwerg werden wird.“

„Was meinten sie denn dann“, fragte sie etwas erstaunt und hilflos.

Der Lebensberater schüttelte leicht den Kopf. „Was glauben sie denn, welche Chancen ihr Kind haben wird, ohne die biotechnischen Unterstützungen.“

„Er wird ein glückliches natürliches Leben führen“, sagt sie mit einer langsam weichenden Bestimmtheit.

„Ach, wird er das?“

„Warum sollte er nicht?“

„Weil er, aufgrund ihrer Entscheidung weniger Intelligent sein könnte. Er wird vermutlich schlechter hören und schlechter riechen und schmecken. Er wird ziemlich sicher langsamer und schwächer sein, als die meisten anderen Kinder. Er wird wahrscheinlich auch anfälliger für Krankheiten werden. Letztlich wird er ein Verlierer im Wettkampf des Lebens sein. All das könnte unsere schonenden Eingriffen verhindern. “

„Aber… das ist doch wider die Natur“, sagte sie erschrocken.

„Ansichtssache!“


Inspiriert vom Kapitel „Die technologische Herausforderung“ in Yuval Noah Hararis „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“.