abc-Etüde, Silbrige Stille

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 18/19 des Jahres 2022 stammt von Myriade mit ihrem Blog La parole a été donnée à l’homme pour cacher sa pensée.

Giraffe
mondsüchtig
suchen.


Silbrige Stille

Er schlägt die Augen auf. Ein silbriges Licht fällt wie Schnee in sein Zimmer hinein und beginnt es langsam zu füllen. Er schaut auf die Uhr. Halb drei. Er ist hellwach.

Silbrige Stille.

Er versucht sich in sein Kissen zu kuscheln, doch der Schlaf kommt nicht zurück. Er steht auf. Es zieht ihn hinaus an die frische Luft. Ins Mondlicht.

Im Dunkeln sucht er nach seiner zweiten Socke. Er findet sie nicht und schlüpft nur mit einer in seine Schuhe und verlässt die Wohnung.

Er tritt aus dem Haus und wird von einem magisch leuchtenden Mond empfangen, der wie gemalt über den Dächern hängt und von kleinen Wölkchen umrahmt wird. Bob Ross hätte das nicht besser malen können, denkt er bei sich. Fast schon etwas kitschig.

Die Straße ist menschenleer und in ein vollmondiges Gewand gehüllt.

Silbrige Stille.

Eine Welt die monden ist, kommt ihm in den Sinn. Nichts könnte diesen Eindruck besser beschreiben. Er verbeugt sich in Gedanken vor Rilke.

Er geht Richtung Park.

Silbrige Stille.

Kein Auto, kein Hund, kein Mensch, nur …

Er schaut die leere Straße entlang.

Silbrige Stille.

Er ist nicht allein. Ein leichter Schmerz huscht über sein Herz, wie eine kleine Wolke, die am Mond vorbei zieht.

Das Gefühl nicht allein zu sein, wird mit jedem Schritt stärker.

Er betritt den Park, etwas ergreift seine Hand. Er zuckt nicht zusammen, sondern greift sanft zu und lässt sich führen.

Als er sich auf die Parkbank setzt, kann er sie spüren. Er lehnt sich zurück, blickt in das Anlitz des vollen Mondes. „Du warst schon immer mondsüchtig.“

Silbrige Stille.

„Da ist die Giraffe“, sagt er laut und erinnert sich an ihr Lachen, als er ihr das Sternbild das erste Mal zeigte.

Ein trauriges Lächeln huscht über sein Angesicht und eine Träne schimmert silbern auf seiner Wange.

Der Dienstag dichtet, (N)eumondstille – Alphabet der Stille – N

Jeden Dienstag gibt es bei Katha ein selbst geschriebenes Gedicht und ich schließe mich dem gerne an.

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(N)eumondstille

es scheint als wären mit dem Licht

auch alle Töne fortgegangen

als hät‘ die Nacht sie eingefangen

und fortgeschleppt – ganz außer Sicht

selbst der allerkleinste Ton versinkt

im schwarzblauen Morast

angeklungen – wär er fast

doch noch schneller – er ertrinkt

auch das Lied der Nachtigall

dass so oft die Nacht durchdringt

wenn sie ihre Arien singt

erzeugt nicht den geringsten Hall

sogar des Mondes Melodie

die des Nachts so silbern klingt

wenn sie durch die Wolken dringt

verstummt in schwarzer Dystopie

Pendel

In unserer Reihe Fridays Dance for Nature standen heute die Elemente im Mittelpunkt und sollten doch nicht das Zentrum sein. Es galt sich so durchlässig zu tanzen, dass die Elemente einen durchdringen konnten, um am Ende etwas aus allen vier Elementen zu erschaffen. Das klang ambitioniert und nicht jeden Tag gelingt es mir, mich auf die Bilder des Tanzen einlassen zu können. Doch heute war ein guter Tag zum Tanzen und das folgende ist mein Versuch, das Gefühl wiederzugeben.

die Musik beginnt
mit jeder Bewegung
ziehe ich mir
ein Stück meiner Haut
von meinem Körper
entferne ich die Membran
die mich zusammenhält
es ist als würde ich in alle Richtungen
gleichzeitig auslaufen
ich diffundiere
ströme aus

Erde
ich sinke hinab
der schwere Boden
ist weich wie Nebel
Tonnen von Erde
schweben mit mir
ich schwimme regelrecht
durch sie hindurch
bis ich die Hitze
des Inneren spüre

Feuer
die Hitze steigt auf
in mir und
um mich herum
ein feuriger Streit darum
wer heißer ist
meine innere Glut
könnte mich selbst
in Schutt und Asche verwandeln

Luft
Ich steige mit der Hitze nach oben
spüre, wie die Winde
mich durchwehen
und ich mit Ihnen
dahingleite
ich bin die Böe,
die den Mond
aus seinem Versteck reißt.

Wasser
und dann fällt Regen aus den Wolken
das Wasser sammelt sich in mir
füllt mich aus
ich Hebe den Arm
und er tropft zu Boden
das Wasser hat
keine Balken

Pendel
ich nehme alles zusammen
für jedes Element
ein Stück von mir
und forme
in wilden Drehungen
ein Elemeńtependel
um Disbalncen auszugleichen
und mit den letzten Tönen
versetze ich es
in Schwingung