#Ausdruck der Woche (9), Ankündigungsminister

Ankündigungsminister? Wie so oft in meinem Ausdruck der Woche, geht es mir nicht so sehr die tatsächlichen Geschehnisse, sondern um den Ausdruck an sich. Welche Aufgabe hat wohl so ein Ankündigungsministerium?


Ankündigungsminister

da wurde doch mal über Nacht

ein Ministerium aufgemacht

eines das passt in uns‘re Zeit

es ist auch schon arbeitsbereit

denn es muss selbst gar nichts machen

keine Gesetzte oder so Sachen

es soll nur immer frisch verkünden

und hier und da auch mal begründen

es muss auch nichts davon einhalten

wer sollt’ sich das denn auch behalten

allein zu sagen – was kommen wird

all die Menschen schon verwirrt

wer könnt‘ sich denn all das merken

all die Versprechen und das Werken

gesagt – ist fast schon wie erfüllt

ein guter Löwe ist‘s – der brüllt

von der Ostsee bis zur Adria

klingt es im social media

dass da noch etwas Neues kommt

die nächste Ankündigung – ganz prompt

abc-Etüde, Riecht wie …

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer

Die Wörter für die Textwochen 08/09 des Schreibjahres 2021 stiftete Sabine mit ihrem Blog wortgeflumselkritzelkram. Sie lauten:

Strickjacke
trügerisch
entdecken.


Riecht wie …

Riecht wie …

Als sie das Haus betraten bekam er eine Gänsehaut. Er wusste nicht warum, aber irgendwie fand er aufregend. Da hatte er 62 werden müssen, um zu entdecken, wie spannend Live-Auktionen seinen können.

Sein Sohn ging zielsicher voran und führt sie in den Auktionssaal. Die Auktion lief bereits. Es ging um irgendwelche Gegenstände, die einmal irgendwelchen Leuten gehört hatten. So ganz verstanden hatte er es nicht, aber der Bieterwettstreit gefiel ihm.

Nach über einer Stunde fragte er sich, was sie hier eigentlich verloren hatten. Sein Sohn schien an nichts von dem was bisher verkauft worden war, ein Interesse gehabt zu haben. Doch die Ruhe schien trügerisch. Plötzlich schlug sein Sohn den Katalog auf und sah auf die Uhr.

„Wartest Du auf etwas bestimmtes?“, fragte er.

Sein Sohn nickte.

Der nächste Auktionsgegenstand wurde gebracht. Eine geradezu lächerlich aussehende olivgrüne Strickjacke.

„Die Auktionsnummer AH48-126. Mindestgebot: 50.000 Dollar.“

„Was?“, zischte er. „50.000 Dollar für einen Wischmop?“

Die Gebote überschlugen sich. Der Preis stieg und stieg.

70.000 – 100.000 . 125.000 – 150.000 – 175.000 – 220.000 – 240.000 – 270.000

„300.000 Dollar von einem Bieter am Telefon“, rief der Auktionator. Er verstand die Welt nicht mehr. Was könnte denn an so einer Strickjacke so wertvoll sein? Er sah seinen Sohn in der Hoffnung an, er könne es ihm erklären, als sein Sohn aufstand und rief: „334.000 Dollar.“

Er sackte erschrocken auf seinem Stuhl zusammen. Mal abgesehen davon, dass er nicht im geringsten geahnt hätte, dass sein Sohn so viel Geld hatte, musste er nun mit ansehen, wie er es für eine Strickjacke zum Fenster herauswarf.

„Zum Ersten – zum Zweiten – zum Dritten. Verkauft für 334.000 Dollar.“

„Lass uns bezahlen gehen“ sagte sein Sohn gut gelaunt und summte eine Melodie vor sich hin, die er irgendwo schon einmal gehört hatte. Er war fassungslos. Sein Sohn musste den Verstand verloren haben.


Am 27. Oktober 2019 wurde die Strickjacke von Kurt Cobain, die er bei seinem legendären MTV-Unplugged Konzert 1993 getragen hatte, für 334.000,00 Dollar verkauft. Eine Gitarre von ihm brachte es auf 340.000 Dollar.

abc-Etüde, Küchenwache

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer

Die Wörter für die Textwochen 08/09 des Schreibjahres 2021 stiftete Sabine mit ihrem Blog wortgeflumselkritzelkram. Sie lauten:

Strickjacke
trügerisch
entdecken.


Triggerwarnung: in der Etüde geht es um einen Todesfall und die Trauer!

Küchenwache

Er sah auf die Uhr. Er musste inzwischen seit mehr als drei Stunden hier in der Küche so sitzen, in einer Strickjacke, die ihn inzwischen richtig schwitzen ließ. Er war sich nicht sicher, wie es dazu gekommen war. Vor einer gefühlten Ewigkeit hatte er mit einem mulmigen, ja geradezu ängstlichen Gefühl diese Wohnung aufgeschlossen.

Der Schlüssel drehte sich, das Schloss knackte. Er spürte, dass die Tür bereits offen war, aber er konnte sie noch nicht öffnen. Er versuchte, seine Kraft zu sammeln.

Die Wohnung würde so sein wie immer, sagte er sich – nur ohne ihn.

Aber genau das, würde die Wohnung vollständig verändern.

Klar, er war schon öfter allein in der Wohnung gewesen, wenn sein Vater verreist oder im Krankenhaus war. Aber da war er trotzdem noch präsent. Und jetzt …

Ihm wurde schlecht, aber es gab kein zurück. Er drückte die Tür auf, ging hinein.

Alles wirkte so vertraut, doch diese Vertrautheit fühlte sich trügerisch an. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er mit jedem Blick irgendetwas seltsames, unvertrautes, erschreckendes entdecken könnte. Etwas, dass seine Erinnerungen wie eine wilde See aufbrausen, wie ein Tsunami über ihn hinwegrasen und ihn darin ertrinken lassen würde.

Er ging zaghaft durch die Wohnung. Alles war so, wie er es gewohnt war. Er wusste, wo die Papiere waren. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie oft sein Vater ihm gezeigt hatte, wo alles zu finden sein würde, wenn er einmal nicht mehr …

Jetzt war es soweit und er fand alles. Er war bereits auf dem Weg zur Tür und wollte endlich aus dieser Wohnung heraus, als sein Blick auf die Strickjacke fiel, die sein Vater immer getragen hatte. Sie hing sorgfältig über dem Küchenstuhl.

Er zögerte. Dann stellte er seine Tasche mit den Unterlagen ab, betrat die Küche und legte eine Hand auf die Strickjacke.