Winterstille

ein Zauber liegt auf allen Zweigen

über Nacht ist er ganz leis’ gekommen

hat sich den ganzen Wald genommen

um sein weißes Kleid zu zeigen

das Raue ist ganz sanft geworden

dämpft des Alltags laute Schnelle

gegen das Grau – bringt es das Helle

aus dem kühlen weiten Norden

es ist – als wäre über Nacht

von jeder hohen Tannenspitze

bis in die allerkleinste Ritze

die Winterstille – sanft erwacht

#Ausdruck der Woche (5) Einreisesperre

Jede Woche suche ich mir einen Begriff, der etwas in mir angestoßen hat.

In dieser Woche: Einreisesperre

Ich möchte den Sinn oder Unsinn von Einreisesperren nicht wirklich diskutieren, ich frage mich nur, wohin es führen kann, eine Auswahl nach dem Pass zu tätigen.


Einreisesperre

einst reisten wir

mal ein und aus

mal ins Hotel – mal ins Haus

jetzt bleiben wir hier

wir sperren euch jetzt aus

lassen euch nicht herein

ihr seid einfach nicht rein

ihr seid unser Graus

wir halten euch lieber fern

wollen kein Zusammenhalt

preisen dennoch die Vielfalt

aber nicht in unserm Kern

wir sortieren aus

wollen nicht jeden haben

ihr habt die falschen Farben

bald schmeißen wir auch raus

wir bleiben unter uns‘res Gleichen

lassen nur unsrige noch zu

stärken uns so selbst im nu

und stellen die richt‘gen Weichen

wohin wird uns das führen

wie unabhängig könn‘ wir sein

wohin komme wir – allein

ich kann meine Angst schon spüren

abc-Etüde, Pechvogel

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer

Die Wörter für die Textwochen 03/04 des Schreibjahres 2021 stiftete Ulrike mit ihrem Blog Blaupause7. Sie lauten:

Lautsprecher
orange (NICHT die Frucht, die Farbe)
erschüttern.


Pechvogel

Der schwere orangene Wagen erschütterte die Straße, als er über das unebene Kopfsteinpflaster rumpelte. Aus den Lautsprechern des Autoradios erklang Marianne Rosenberg. Der Wagen stoppte. Die Männer trauten ihren Augen nicht.

In einer Mülltonne am Rand steckte kopfüber ein junger Mann, wühlte darin herum und warf mehr und mehr Unrat auf die Straße.

Friedhelm ging gemächlich zu ihm.

„Wat globen se denn, wat se da machen?“, fragte er.

Der junge Mann reagierte nicht und warf weiteren Inhalt der Tonne auf die Straße.

„Ick glob ick spinne“, sagte Friedhelm und zog ihn aus der Tonne.

„Lassen sie mich. Was soll das“, rief der junge Mann und wollte wieder hineinspringen.

„Det lassen se mal schön bleiben. Ick muss hier meenen Job machen, wissen se?“

„Oh nein, nein, sie können die Tonne jetzt nicht ausleeren.“

„Junger Mann, ick mach den Job seit 21 Jahren. Ick gebe ihnen Brief und Siejel, det ick det kann.“

„Das dürfen sie nicht. Bitte noch nicht.“

„Wat ham wa denn fürn Problem?“

Der junge Mann sah ihn mit aufgerissenen Augen an und zögerte einen Moment. „Ich …ich habe …ich habe eine wichtige Telefonnummer verloren. Ehrlich.“

Friedhelm sah ihn interessiert an und nickte langsam und bedächtig.

„Ich glaube, ich habe sie gestern aus Versehen mit weggeschmissen. Ich muss sie finden.“

„Da drin?“, er zeigte auf die Tonne. „Dat wird eh nix. Lassen sie misch mal meinen Job machen und besorjen se sich ne neue Nummer.“

„Eine neue Nummer? Waren Sie jemals verliebt? So sehr, dass sie auf der Stelle sterben könnten, wenn sie sie nicht wiedersehen würden?“, sagte der junge Mann zitternd.

Friedhelm zog die Augenbauen hoch.

„Es geht quasi um Leben und Tod. Das müssen Sie doch verstehen.“

„Was ist denn da los“, fragte sein Kollege Peer aus der Fahrerkabine.

„Pack ma mit an, Peer.“