abc-Etüde, Filmreif

Bild: Christiane

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 38/39 des Jahres 2022 stammt von Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Sie lautet:

Regentonne
sensibel
schwanken.


Filmreif

Der Herzschlag war im ganzen Körper spüren. Ein wohliges und zugleich aufregendes Pochen zog durch Renés Adern. Die Hände zitterten leicht, als das nachtblaue Negligé über den Körper glitt.

Es sollte eine Überraschung werden, doch die Angst wie er reagieren würde, steckte in jeder Zelle. In so einer sensiblen Situation konnte ein abgewendeter Blick, ein kleines Zögern oder ein falsches Wort alles zerstören. Die schwarzen Halterlosen wurden sehr langsam und konzentriert über die Beine gezogen.

Seit Tagen war die Vorfreude auf diesen Abend gewachsen. In wenigen Augenblicken würde er von seiner Dienstreise nach Hause kommen. Die romantische Playlist lief bereits und ein Lichtermeer aus Kerzen tauchte das Schlafzimmer in eine warmes, sanftes Licht. Die seidige Bettwäsche war aufgezogen und eine Flasche des Lieblingsproseccos kalt gestellt. Zwei Gläser standen bereits am Bett. Frisch der Badewanne entstiegen war die Haut noch ganz warm und weich und ein leichter Rosenduft lag auf ihr. Der Plan war es, verführerisch im Bett zu liegen und auf ihn zu warten, wie es in zahllosen romantischen Filmen funktionierte. Doch René war sich nur zu deutlich bewusst, dass dies kein Film war.

Noch ein Zupfen an den Strümpfen, ein Ziehen am Negligé. Ein Blick in den Spiegel. Zweifel schlichen sich wieder in die Gedanken. Die Selbstwahrnehmung schwankte zwischen „Verdammt Heiss“ und Regentonne. Das Spiegelbild schien, jedes Gramm zu viel zu betonen, ja geradezu hervorzuheben. Würde ihm das wirklich gefallen oder würde es der peinlichste Moment ihrer Beziehung werden ? Ein Griff an den Saum des Negligés, bereit es wieder auszuziehen. Ein Zögern. Ließ sich in diesem Outfit sein Bergehren wecken oder würde er ein Lachen nicht unterdrücken können? René hätte schreien können vor Unsicherheit.

Er hörte wie sein Wagen in die Einfahrt fuhr.

abc-Etüde, Der Tropfen zum Überlaufen

Bild: Christiane

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 38/39 des Jahres 2022 stammt von Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Sie lautet:

Regentonne
sensibel
schwanken.


Der Tropfen zum Überlaufen

Gefühlt lag sie bereits seit Stunden wach in ihrem Bett und suchte verzweifelt nach Schlaf. Doch er ließ sie nicht schlafen. Immer wieder schlichen sie ihre Gedanken zu ihm hin und ein tiefer Schmerz überkam sie.

Wie hatte er so gemein sein können? Wie hatte er sie mit ihrer besten Freundin betrügen können? Ihre Gedanken schwankten zwischen Wut, Trauer und Verzweiflung.

Der strömende Regen schien ihr passend für ihre Stimmung. Gerade als sie einschlafen wollte, schien sich der monotone Klang des Regens jedoch zu verändern. Sie lauschte in die Nacht hinein. Spielte die Regentonne etwa gerade ihr Lied? Das Lied, bei dem sie sich damals zum ersten Mal geküsst haben? Nein, die alte Regentonne tropfte einfach nur vor sich hin, wie sie es immer tat, oder? Sie drehte sich herum, doch ihre Ohren waren nun ganz sensibel auf jedes rhythmische Geräusch fixiert.

Der Rauschen der großen Birke, das Klopfen der Regentropfen an die Fensterscheiben und das Plätschern in der Regentonne. Sie zuckte zusammen. Da war es wieder. Dieses unbestimmte Plätschern und sofort durchflutete sie die Melodie.

„Nein, nein“, sagte sie und zog sich das Kissen über den Kopf, um sich darunter zu begraben, doch das rhythmische Tropfen und Plätschern schien nur noch lauter zu werden. Sie bekam diese Melodie einfach nicht aus ihrem Kopf.

Sie stand auf und ging zur Terrasse. Im Licht der Straßenlaterne konnte sie sehen, wie stark es regnete. Hier im Wohnzimmer war der Rhythmus noch stärker zu hören. Es sah nicht so aus, als würde der Regen bald nachlassen. Es gab nur eine Möglichkeit.

Sie trat in den Regen hinaus, ging zur Hausecke und mit all der Wut und all ihrer Kraft trat sie die Regentonne um.

Das Nachthemd klebte bereits an ihr, als sie ihr Werk betrachtete.

Sie lauschte in die Nacht.

abc-Etüde, Buchstäblich gepennt

Bild: Christiane

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Nach guter Tradition werden die ersten Wörter nach dem Break immer von dem Etüdenerfinder (oder von mir) gespendet. Für die Textwochen 36/37 des Schreibjahres 2022 stammt die Wortspende also von Ludwig Zeidler (bloggt nicht mehr). Sie lautet:

Brechreiz
anschmiegsam
buchstabieren.


Buchstäblich gepennt

Er atmete tief durch und begann seinen Namen zu buchstabieren. Inzwischen war er sich sicher, dass er seinen Flug nicht mehr bekommen würde. Verzweifelt versuchte er mit der spanischen Dame am Schalter der Fluggesellschaft zu kommunizieren, doch sie verstand ihn einfach nicht. Er hatte fast 20 Minuten gebraucht, um ihr zu erklären, dass ihm sein Ticket und sein Ausweis geklaut worden waren. Das Ticket hatte er auch auf seinem Handy, aber ohne Ausweis wollten sie ihn nicht fliegen lassen. Er versuchte ruhig zu bleiben, doch die ganze Aufregung und die Aussicht den Flug in die Heimat zu verpassen, verursachten ihm Brechreiz. Zum dritten Mal buchstabierte er seinen Namen in der Hoffnung, doch noch in den Flieger steigen zu dürfen.

In Gedanken sah er die junge Dame im Zubringerzug noch vor sich. Sie hatte müde ausgesehen und war scheinbar bereits kurz nach der Abfahrt eingeschlafen. Zumindest hatte er das gedacht. Sie war kurz darauf leicht zur Seite gekippt und hatte sich etwas an ihn gelehnt. Er hatte einen Moment gezögert, sie aber dann gewähren lassen. Sie war immer anschmiegsamer geworden. Ihr langes schwarzes Haar hatte wie eine Blumenwiese gerochen.

Die Dame von der Fluggesellschaft riss ihn aus seinen Gedanken, als sie ihm ein Formular hinhielt, welches er unterschreiben sollte. Es war spanisch. Er hatte keine Ahnung was er da unterzeichnete, aber es war ihm egal. Unruhig setzte er seine Unterschrift auf das Papier.

Die junge Dame war erst aufgewacht, als sich die Türen vom Zug öffneten. Sie hatte sich auf englisch entschuldigt und war dann eilig in der Menge des Flughafens untergetaucht. Dass seine Brieftasche weg war, hatte er erst gemerkt, als er seinen Flat White an der Flughafenbar bezahlen wollte. Er ärgerte sich über seine Naivität als die Dame von der Fluggesellschaft ihn anlächelte und „It’s ok“ sagte.