Die Insel-Story

Die Insel-Story ist eine Geschichte, die sukzessive aus kleinen Einzelteilen entsteht. Diese Einzelteile wiederum entstehen im Zusammenhang mit den abc-Etüden von Christiane auf ihrem Blog „IrgendwasIstImmer“. Eine Etüde darf maximal 300 Worte umfassen und muss 3 ausgewählte Worte beinhalten. Die 3 Worte sind im Text jeweils gekennzeichnet.

Teil 1

Ankunft

„Meine Damen und Herren, wir erreichen in wenigen Minuten den Fähranleger Wittdün auf Amrum. Wir bitte alle Mitfahrenden sich jetzt schon zu den Fahrzeugen zu begeben, damit wir direkt nach dem Anlegen mit dem Entladen beginnen können. Die Fußgänger nutzen bitte den Seitenausstieg auf Höhe des Salondecks.“

Der Lautsprecher knackste, als er ausgeschaltet wurde. Er wollte gerade aufstehen, als der Lautsprecher mit einem erneuten Knacken noch einmal eingeschaltet wurde. „Meine Damen und Herren, ihr Aufenthalt auf Amrum beginnt jetzt: Atmen sie tief ein, schalten sie ihren Krisenmodus aus, atmen sie tief aus und genießen sie den Aufenthalt.“

Er zuckt zusammen und sah sich um. Niemand reagierte auf diese zweite Ansage. War das normal? War das die übliche Begrüßung hier auf der Insel? Ausgerechnet mit dem Wort Krisenmodus?

Er war schon seit Monaten ständig angespannt und fühlte sich völlig ermattet. Sein bester Freund hatte ihm attestiert, dass er jeden Tag blasser aussehen würde. „Du wirkst als wärst du im Dauerkrisenmodus. Du musst echt mal raus.“

„Wie denn? Wohin denn?“

Sein Freund schob ihm einen Zettel zu. „Hier, ruf da mal an. Die haben tolle Ferienwohnungen auf Amrum. Fahr da hin und sei einfach mal richtig faul. Tu mal ein oder zwei Wochen lang nichts, außer spazieren gehen und dich ausruhen. Das wird dir gut tun.“

Nun war er hier. Er bestieg den Bus und fuhr nach Norddorf. Er brauchte nur ein paar Schritte bis zur Ferienwohnung, die ihm sein Freund empfohlen hatte. Der Schlüssel steckte. Er musste grinsen. So etwas wäre in Hamburg undenkbar. Er schloss die Wohnung auf, stellte seine Tasche ab und ging zur Terrassentür. Auf der Terrasse stand ein blau-weißer Strandkorb. Ein Lächeln flog über sein Gesicht.

Nur wenige Minuten später schrieb er seinem Freund: „Danke!“

Kurz darauf die Antwort: „Bin gespannt, wie lange du es aushältst.“

Bild generiert mit craiyon.com

Teil 2

Detox

Jasper Jensen traute seinen Augen kaum, als er die Dünenkrone erreicht hatte und auf das Meer und den Strand blickte. Die Weite vor ihm, raubte ihm den Atem. Mit so einem überwältigen Anblick hatte er nicht gerechnet. Weite so weit das Auge reichte.

Der Strand war fast menschenleer. Ein paar Strandkörbe standen wie hingewürfelt im Sand und die Wellen der Nordsee brandeten mit einem leisen Rauschen in der Ferne an die Küste.

Obwohl es recht frisch war, zog er sich seine Schuhe und Socken aus. Was für ein befreiendes Gefühl, als sich seine Zehen in den kühlen Sand eingruben. Die kleinen Körnchen schoben sich zwischen seine Zehen. In ihm stieg die Sehnsucht auf, dass Nordseewasser an seinen Füßen zu spüren. Mit vorsichtigen Schritten ging er durch den tiefen Sand der Düne. Mit jedem Schritt näherte er sich dem Meeressaum, auch wenn es sich nicht so anfühlte. Das Meer schien sich vor ihm zurückzuziehen. Jasper hatte das Gefühl, als würde er dem Meer mit keinem Schritt näher kommen.

Er hörte nichts weiter als das Meeresrauschen und den Wind, der unnachgiebig an seinen Haaren zog, als eine unangenehme elektronische Melodie die Idylle zerriss. Er atmete tief ein. Sein Handy hatte er völlig vergessen gehabt. Der Blick auf das Display versprach nichts gutes. Wenn sein Kollege anrief, bedeutete dies fast immer, dass sich die Firma im Krisenmodus befand. Vermutlich, hatte sein Kollege wieder einen Termin verpasst und jemand, in der Regel Jasper, musste die Kuh vom Eis kriegen. Er war sich nicht sicher, ob sein Kollege faul oder unfähig war. Aber dieses Mal musste es ohne ihn gehen. Statt den Anruf anzunehmen oder wegzudrücken, schaltete Jasper das Handy direkt aus. Hatte ihm sein Freund nicht empfohlen, einfach mal nichts zu tun? Mit einem Lächeln ging er weiter in Richtung Horizont.


Teil 3

Begegnung

Den erste Morgen auf der Insel begann Jasper mit einer Besichtigung seiner kleinen Terrasse. Sie war gerade so groß, dass er neben dem Strandkorb und dem kleinen Tisch davor noch gut stehen konnte. Das sonnenbeschienene Fleckchen war auf zwei Seiten von einer Buchsbaumhecke und auf der vorderen Seite von einem kniehohen Steinwall eingefasst. Er sah sich um, atmete tief ein. Seeluft. Stille. Stille? Er vernahm ein tiefes Grollen.

Er brauchte einen Moment bis er herausgefunden hatte, dass das Grollen von dem rot-schwarzen Kater kam, der faul im Strandkorb lag. Gemütlich eingerollt, hatte er sich auf der Sitzbank breit gemacht.

Jasper ging einen Schritt auf den Kater zu, der sofort aufsprang, einen Buckel machte und sein Grollen verstärkte. In seinem aktivierten Krisenmodus hörte sich der Kater fast wie ein Traktor an und sah mit seinem Buckel und seinen funkelnden Augen wirklich gefährlich aus. Sein rot-schwarzer Schwanz plusterte sich auf. Er wirkte plötzlich doppelt so groß und gar nicht mehr so gemütlich.

Er hielt dem Kater vorsichtig seine Hand entgegen, um ihm zu zeigen, dass er ganz ungefährlich sei. Die Tatze kam so schnell nach vorne geschossen, dass sein Finger schon blutete, bevor er überhaupt registriert hatte, was geschehen war. Für einen Moment war er versucht, zurückzuschlagen, doch er besann sich, lutschte sich das Blut vom Finger und hielt, noch etwas langsamer seine Hand erneut hin. „Komm schon, lass uns Freunde werden“, flüsterte er. Seine Hand näherte sich im Zeitlupentempo der Nase des Katers.

Dieser schnupperte einen Moment an dem Finger. Er hielt den Atem an. Der Finger brannte. Der Kater sprang herunter und strich ihm am rechten Bein entlang.

Ein freudiges Lächeln ging über sein Gesicht. Jasper beugte sich herunter und strich über das seidige Fell. „Freut mich sehr“, sagt er. „Kannst du mir ein gutes Fischrestaurant empfehlen?“, fragte er lachend.


Teil 4

Stecken geblieben

Die aufsteigende Panik war kaum zu dämpfen. Die erste kleine Welle mit eiskaltem Wasser hatte seine Schenkel umspült. Dies war nicht der Moment für Unruhe sondern für echte Panik. Inzwischen war er heiser vom Schreien, aber bis auf ein paar amüsiert wirkenden Möwen, hatte niemand reagiert.

Die nächste Welle. Zum Glück herrschte kein Wind und die Wellen waren nur ein paar Zentimeter hoch. Eine im Grunde entspannte, ruhige See, wenn nicht …

Wusch. Wieder eine Welle. Er hatte sich rechtzeitig auf den Weg gemacht, um trocken und sicher bei seinem zurückgelassenen Rucksack anzukommen, aber mit so einem Unglück hatte er nicht gerechnet. Natürlich hätten ihn alle Flyer in der Ferienwohnung über die Gefahren aufgeklärt, wenn er nicht wie immer zu faul gewesen wäre, sie zu lesen.

Wusch. War diese jetzt höher als die letzte? Das ging schneller als gedacht. Wie viel Zeit blieb ihm noch? Sein Verstand hatte bereits auf Krisenmodusumgeschaltet und suchte auf Hochtouren nach Erinnerungen mit einem Hinweis, aus dieser Misere wieder herauszukommen.

Wusch. Vor Ewigkeiten, so glaubte er sich zu erinnern, hatte er einmal eine Dokumentation gesehen. Die Filmemacher hatten empfohlen, auf gar keinen Fall zu strampeln, wenn die Beine im Schlick steckenbleiben. Daran konnte er sich noch erinnern und versucht so ruhig wie möglich zu bleiben. Die eigentlichen Hinweise, sich aus einem Schlickloch selbst zu befreien, waren wir weggespült.

Wusch. Diese Welle war deutlich höher, als die anderen. Die Kälte des Wasser begann in seinen Beinen zu schmerzen und sie stiegen, wie das Wasser, mit jeder Welle etwas höher.

Wusch. Das schmatzende Geräusch, als mit seinen Beinen bis über das Knie im Nordseeschlick eingesunken war, hallte noch immer in seinem Kopf. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können. Es musste doch einen Weg geben, sich zu befreien. Er könnte doch unmöglich hier steckenbleiben und …

Wusch


Teil 5

Jasper

Inzwischen, am dritten Tag, hatte er sich etwas an die Einsamkeit am Strand gewöhnt und begann diese ein klein wenig zu genießen. Jasper war nie ein Freund von vielen Menschen gewesen, aber sein Beruf brachte den Kontakt zu Menschen und leider oft zu den eher weniger netten Menschen mit sich. „Augen auf bei der Berufswahl!“ In seinem Inneren war er davon überzeugt, dass seine Arbeit für den Erhalt dieser Gesellschaft wichtig war. Sein „Unternehmen“, wie er es nannte, ging leider absolut schonungslos mit den menschlichen Ressourcen um. Jasper war alles andere als faul, aber mit einem Lottogewinn in Höhe seiner Überstunden, so scherzte er, könnte er sich sofort zur Ruhe setzen. Jasper empfahl allen Anfänger:innen, sich genau zu überlegen, welchen Wert Familie und Freunde im Vergleich zur Arbeit haben sollten. Deren Unvereinbarkeit hatte er schon mehrfach beobachten und auch selbst erleben müssen.

Jasper blieb stehen, blickte über die scheinbar endlosen Weiten des Kniepsands und genoss die Seeluft in seinen Lungen. Seit seinem Aufbruch, war er keinem Menschen mehr begegnet. Es schien als gäbe es mehr Dünen als Menschen auf dieser Insel. „Um diese Zeit ist es dort total einsam. Genau richtig zum Entspannen“, hatte ihm sein Freund gesagt.

Er drehte sich in Richtung Leuchtturm um. Das rot-weiße Leichtfeuer ragte zwischen den Dünen in die Höhe. „Ob die zwei schwarzen Punkte da Menschen sind?“ Die Zeit beantwortete ihm die Frage mit einem klaren „Ja“. Sie hatten weder einen Hund dabei, noch schlenderten sie Hand in Hand, sondern steuerten direkt auf ihn zu.

Die zwei Personen machten lange, schnelle Schritte. Das sah verrammt nach Krisenmodus. aus und wirkte geradezu bedrohlich. Jasper ließ sich für gewöhnlich nicht einschüchtern aber fragt sich schon, was sie von ihm wollen könnten.

Als er „Jasper Jensen?“ hörte, wusste er: die Auszeit war vorbei.


Teil 6

Unterwürfig

Er sah die beiden an, die in ihren dunklen Anoraks und schweren Stiefeln versuchten, dem Nordseewind zu trotzen.

„Emma Fresen“, sagt die kleine, drahtige Frau mit den fahlgrauen kurzen Haaren. Ihre Wangen waren vom Wind etwas gerötet und eine kleine freche Locke tanzte in den Böen. Sie hielt ihm ihre zarte Hand hin.

Einen Blick in ihre graublauen Augen lang zögerte er, dann nahm er ihre Hand. Ihr Griff war kräftig und fest. Er konnte ihren Mut, ihre Entschlossenheit, ihren Willen in seinen Fingerspritzen spüren. Fast hätte er gelächelt.

„Mich…“ hustete der Mann und räusperte sich. „Michael Markussen“, krächzte er und streckte die Hand vor. Er war mittelgroß und etwas rundlich. Der schnelle Schritt über den Strand hatte ihn sichtlich außer Atem gebracht und der Wind ließ ihn frieren.

Jasper konnte die Unterwürfigkeit von seinen Augen ablesen. Er spürte sofort, wie eine leichte Aggression in ihm aufkam und versuchte sie mit tiefen Atemzügen aufzuhalten. Grundlose Unterwürfigkeit war etwas, das Jasper auf die Palme bringen konnte. Er hatte den psychologischen Mechanismus dahinter noch nicht entdecken können, aber die freiwillige Unterwerfung ohne jeglichen Anlass, war für ihn ein rotes Tuch.

Er nannte diese devote Haltung „Feigheit vor dem Leben“. Aus seiner Sicht, bekam jeder Mensch mit seinem Leben auch eine Aufgabe. Derart verschuldet, galt es Zeit seines Lebens durch die Achtung vor dem Leben diese Schuld zu begleichen. Das Leben selbst zu gestalten, nicht seine Zeit sinnlos zu verjubeln und die kostbaren Augenblicke nur geschehen zu lassen. Michael, da war es sich sicher, war ein Das-Leben-Geschehen-Lasser.

Michaels Hand blieb unbeantwortet in der Luft hängen. Er zog sie zurück und verstärkte dabei seine angedeutete buckelige Haltung.

Jasper versuchte milde zu sein, wandte sich Emma zu und fragte: „Worum geht’s?“

„Wir könnten ihre Hilfe gebrauchen“, sagt sie mit einem entschuldigenden Blick.


Teil 7

Hilfe

Das Wort „Hilfe“ hing in der Luft wie eine Möwe, die sich vom Wind tragen ließ und direkt über ihnen schwebte.

Jasper war kein Mann, der nach Macht strebte und er sonnte sich nicht an diesem Moment der Unterwürfigkeit, an dem Hilfegesuch an sich. Aber in dem Sinne, dass jeder Mensch eine Aufgabe habe, war es für ihn immer etwas besonderes, gebraucht zu werden. Dies gab ihm das Gefühl der Nützlichkeit. Es verlieh seinem Leben einen Sinn, den er sich selbst nur bedingt geben konnte.

Es war für ihn Teil seiner Lebensphilosophie, seine Lebenszeit in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Das klang altruistisch, doch das Märchen von der besseren Welt hatte kein Happy End und war nicht folgenlos für sein Privatleben geblieben. „Du und dein verdammtes Helfersyndrom“, klang es ihm noch heute jeden Tag in den Ohren, aber es war ihm nie gelungen, seine Haltung für seine Familie zu ändern. Zu sehr steckte ihn ihm der Anspruch, sein Leben „nützlich“ zu gestalten. In Bezug auf Aufmerksamkeit gegenüber seiner Familie, würde er bis zum Rest seines Lebens bis über beide Ohren verschuldet bleiben.

„Ich bin gespannt, wie lange du durchhältst“, hatte sein Freund Karl zu ihm gesagt. Karl kannte seine innere Unruhe nur zu gut. Er wusste, um sein Streben nach Sinn, seinen Drang immer etwas tun zu müssen. Drei Tage war wohl die Antwort auf Karls Frage. Aber er würde die Ruhe nicht würde freiwillig aufgeben, entschuldigte er sich bei sich selbst. Die Gesellschaft brauchte ihn. Er atmete auf und spürte bereits, wie seine innere Unruhe wieder Fahrt aufnahm. Es war, als würde eine innere Stimme „Leinen los“ rufen, damit er endlich wieder die Segel der Tüchtigkeit setzen und in die See der Arbeit stechen konnte. Er hatte genug Zeit mit Rumsitzen, Spazierengehen und Wellenbeobachten vertan und verjubelt.


Teil 8

300 (Teil 8)

Wie immer ließ es ihn etwas erschaudern, als er nach oben sah. Diese Größe und Wucht, aber auch diese Standfestigkeit flößten ihm eine Ehrfurcht ein, die irgendwie zu dem Ort aber auch zu seinem Geheimnis passte. Es muss eine unglaubliche Leistung in Bezug auf die Logistik und die Verschwiegenheit gewesen sein, als vor 150 Jahren diese Versteck gebaut wurde. Der damalige Streik, den sie selbst angezettelt hatten, spielte ihnen dabei natürlich genau in die Karten. Die Handwerker damals hatten keine Wahl, sie waren alle bei dem einen oder anderen Mitglied verschuldet gewesen. Eine Strategie die sich ausgezahlt hatte.

Insgesamt wurde sehr auf Details geachtet, die ihn heute noch faszinierten. 103 Stufen führten in die geheimen Räumen, so dass es insgesamt genau 300 Stufen gab. Die 300 war die magische Zahl, die für sie prägend war. 300 Mitglieder, 300 Totenschädel, die den Zeremonienraum zierten und 300 Worte in ihrem Treueschwur, um nur einige zu nennen.

Im nächsten Jahr würde die Gruppe bereits seit 500 Jahren bestehen. Was hatten sie nicht alles schon überstanden. Von der Unterwürfigkeit einiger Meister gegenüber den Königen um sie herum, über Krankheiten und Kriege, die sie immer wieder dezimierten bis hin zu Meistern, die dabei waren, die wertvollen Schätze der Vergangenheit zu verjubeln.

Er betrat den Vorraum. Die Stille wurde durch ein leichtes Heulen des Windes unterbrochen. Er zog den Schlüssel heraus und öffnete die unscheinbare Tür mit der kleinen Luke, welche die Treppe nach unten frei gab. Niemand sucht ein Geheimnis an einem öffentlichen Ort, hatte der Meister ihm damals erklärt und er hatte Recht. Diesen Ort 150 Jahre lang geheim zu halten, obwohl tagtäglich eine Vielzahl von Menschen darüber stolperten, war eine echte Meisterleistung.

Er schaltete das Licht an und schloss hinter sich die Tür. Er hatte noch zwei Stunden Zeit, um die Sitzung vorzubereiten.


Teil 9

Kälte (Teil 9)

Wie weit würde das Wasser noch steigen? Er wusste es nicht, aber wenn es nicht das Wasser war, dass ihn umbringen würde, dann definitiv die Kälte. Verzweifelt versuche er sich in seinen Gedanken an das gestrige Abendbrotvor dem Kamin zu klammern. An den sanften Feuerschein, das Knacken vom Holz, den Funkenflug, die wohligen Wellen durchdringender Wärme. Vergeblich. Die nächste Nordseewelle löschte die Gedanken aus, als würde ein nasser Schwamm über die Tafel gleiten. Wieder und wieder rief er sich die Erinnerung zurück und wieder und wieder wurde sie hinweggeschwemmt.

Das Wasser war inzwischen hüfthoch und er hatte das Gefühl, dass seine Füße, die seit einer Ewigkeit in diesem Wattschlick steckten, bereits abgestorben, nicht mehr Teil seines Körpers waren, sondern nur eisige Fesseln, die ihn einfach nicht freigeben wollten. Wenn er gekonnt hätte, hätte er sie sich selbst abgeschnitten, aber er kam nicht mehr an sie heran. Sich die Beine ab dem Knie selbst zu amputieren würde ihn jedoch auch innerhalb von Minuten töten. Trotz aller Entschlossenheit schien es keinen Ausweg zu geben.

Die Kälte wurde langsam unerträglich. Sie war kein Gefühl mehr sondern nur noch purer Schmerz. Der Gedanken an seinen bevorstehenden Tod auch.

Er war niemand der aufgab. Das war er schon mehrfach ausgezeichnetworden. So hatte er Wege entdeckt, die er manchmal selbst nicht glauben konnte. Er war schon aus einigen ausweglosen Situationen herausgekommen, doch dieses Mal würde er ohne Hilfe nicht entkommen. Aber von Hilfe war nichts zu sehen. Außer den sanften Licht des Leuchtturms, das in stoischer Ruhe über das Wasser glitt, schien um ihn herum nichts zu sein.

Vielleicht würden sie ihn morgen finden. Ein weiterer Pechvogel, der sich im Watt verirrt hatte. Sie würden versuchen ihn zu identifizieren, aber sie würden nichts finden und ihn irgendwann als namenlosen, heimatlosenUnbekannten beerdigen.