abc-Etüde, Das Ende

Bild: Irgendwas ist immer

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für November bzw. für die Textwochen 45, 46, 47 und 48 des Jahres 2023 kommt von Myriade und ihrem Blog la parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée. Sie lautet:

Horizont
Kleinkariert
Eintreten.


Das Ende

Was hatten sie ihm nicht alles erzählt: die Erde ist eine Scheibe; die Erde ist eine Kugel; die Erde ist der Mittelpunkt des Universums; die Erde ist ein blauer Planet.

Manches davon konnte er sich vorstellen. Anderes jedoch, auch wenn er sich keineswegs für kleinkariert hielt, schien ihm unmöglich. Aber all seine Vorstellungen endeten nun hier, vor dieser Tür.

Wie konnte es diese Tür geben? Nichts von dem, was er über das Leben und die Erde wusste, passte zu dieser Tür. Sie war schlicht, in einem matten weiß und mit einer einfachen, goldschimmernden Klinke. Eine Tür hinter der er unter anderen Umständen einen Flur, eine Küche, eine Kammer oder ein Klo erwarten würde. Eine Tür durch die er bedenkenlos eintreten würde. Doch nicht hier. Nicht an diesem Ort.

Es hatte ihn sechseinhalb Monaten gekostet hier her zu kommen, zum vermeintlichen Ende der Welt. Ein Ende, dass es nicht geben dürfte und doch stand er hier und die Welt endete an dieser Tür, einfach so.

Ein Gefühl der Enttäuschung aber auch der Wut ergriff ihn. Wie konnte es sein, dass diese Welt ein Ende hatte? Wie konnte es sein, dass die Grenzen dieser Welt eine einfache Tür sind.

Doch in all seinem Zorn, regte sich auch etwas Neugier. Was lag hinter dieser Tür? Eine andere Welt? Ein Paralleluniversum? Eine verkehrte Welt? Das Nichts? Alles?

Noch einmal las er die Aufschrift auf der Tür: Das Ende des Horizonts.

Hier endete also alles, doch würde es hier auch beginnen?

Er griff zur Klinke. Sie war kühl und ließ sich ohne jeden Kraftaufwand herunterdrücken.

Er atmete tief ein. Er würde einen Blick hinter die Welt werfen, auf die andere Seite von was auch immer.

Schwungvoll riss er die Tür auf und blickte in zwei ihm wohlbekannte Augen, die neugierig zurückblickten.

11 Gedanken zu “abc-Etüde, Das Ende

  1. Mir kommt dabei die Idee von einem Zwilling bzw. einem Klon, der in einer parallelen Welt lebt und vielleicht von dem träumt, was ich auf meiner Seite erlebe und sich deswegen freut, endlich sein Ziel gefunden zu haben, so wie ich es auf meiner Seite glaube nun gefunden zu haben.
    Da kann man sich dann schon mal wissend anschauen und sich selbst die Hand geben.

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  2. Pingback: Fazit Textwochen 45*46*47*48**23, willkommen Adventüden 2023! | Irgendwas ist immer

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