abc-Etüde, Stürmische Zeiten

Bild: Christiane

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 38/39 des Jahres 2022 stammt von Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Sie lautet:

Regentonne
sensibel
schwanken.


Stürmische Zeiten

Wir waren vier Stunden durch die Dünen, den Nationalpark und am Strand entlang gewandert, bevor der Sturm uns überrascht hatte. Wir hatten noch eine kleine Rast gemacht, Kaffee aus unseren Thermoskannen getrunken, er mit Koffein, ich ohne und Kekse gegessen, als ich den näherkommenden Sturm spürte. Ich bin sehr sensibel beim Wetter.

Wir dachten, wir hätten noch genug Zeit, doch der Regen kam schnell und wurde immer stärker. Die Windböen schlugen mir regelrecht ins Gesicht und ich stemmte mich verzweifelt gegen den Wind. Ich hatte Mühe, den kleinen Holzsteg noch zu erkennen, auf dem wir liefen. Wir kennen den Steg quasi wie unsere Westentasche. Wir waren schon so oft hier und waren den Weg durch die Dünen schon hunderte Male gegangen, doch erst heute bedauerte ich, dass es kein Geländer gab, keine Möglichkeit, sich festzuhalten.

Ich drehte mich nach meinem Mann um. In den wilden Regenböen konnte ich ihn kaum erkennen. Lediglich seine stahlblaue Regenjacke blitzte ab und an auf. An der erkenne ich ihn immer, denn sie hat die gleiche Farbe wie unsere Regentonne. Naja, und seine Figur, na sie wissen schon.

Mein Mann schwankte bedrohlich auf dem kleinen Steg, aber ich hatte genug mit mir selbst zu kämpfen. Eine Bö erfasste mich und drückte mich fast vom Steg. Ich stemmte mich mit all meiner Kraft dagegen und ging weiter.

Als ich das Ende des Stegs erreicht hatte, drehte ich mich erneut um, doch ich konnte nichts erkennen. Ich betet, dass mein Mann jeden Moment auftauchen würde. Ich starrte in den Regen auf der Suche nach der blauen Regenjacke und schien nach ihm, aber es war nichts zu sehen oder zu hören, außer dem Regen.

„Frau Standler wussten sie, dass ihr Mann eine hohe Menge an Schlafmittel genommen hatte“, fragte der Kommissar der Kriminalpolizei sie nun zum dritten Mal.

abc-Etüde, Filmreif

Bild: Christiane

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 38/39 des Jahres 2022 stammt von Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Sie lautet:

Regentonne
sensibel
schwanken.


Filmreif

Der Herzschlag war im ganzen Körper spüren. Ein wohliges und zugleich aufregendes Pochen zog durch Renés Adern. Die Hände zitterten leicht, als das nachtblaue Negligé über den Körper glitt.

Es sollte eine Überraschung werden, doch die Angst wie er reagieren würde, steckte in jeder Zelle. In so einer sensiblen Situation konnte ein abgewendeter Blick, ein kleines Zögern oder ein falsches Wort alles zerstören. Die schwarzen Halterlosen wurden sehr langsam und konzentriert über die Beine gezogen.

Seit Tagen war die Vorfreude auf diesen Abend gewachsen. In wenigen Augenblicken würde er von seiner Dienstreise nach Hause kommen. Die romantische Playlist lief bereits und ein Lichtermeer aus Kerzen tauchte das Schlafzimmer in eine warmes, sanftes Licht. Die seidige Bettwäsche war aufgezogen und eine Flasche des Lieblingsproseccos kalt gestellt. Zwei Gläser standen bereits am Bett. Frisch der Badewanne entstiegen war die Haut noch ganz warm und weich und ein leichter Rosenduft lag auf ihr. Der Plan war es, verführerisch im Bett zu liegen und auf ihn zu warten, wie es in zahllosen romantischen Filmen funktionierte. Doch René war sich nur zu deutlich bewusst, dass dies kein Film war.

Noch ein Zupfen an den Strümpfen, ein Ziehen am Negligé. Ein Blick in den Spiegel. Zweifel schlichen sich wieder in die Gedanken. Die Selbstwahrnehmung schwankte zwischen „Verdammt Heiss“ und Regentonne. Das Spiegelbild schien, jedes Gramm zu viel zu betonen, ja geradezu hervorzuheben. Würde ihm das wirklich gefallen oder würde es der peinlichste Moment ihrer Beziehung werden ? Ein Griff an den Saum des Negligés, bereit es wieder auszuziehen. Ein Zögern. Ließ sich in diesem Outfit sein Bergehren wecken oder würde er ein Lachen nicht unterdrücken können? René hätte schreien können vor Unsicherheit.

Er hörte wie sein Wagen in die Einfahrt fuhr.

abc-Etüde, Der Tropfen zum Überlaufen

Bild: Christiane

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von auf irgendwas ist immer.

Die Wortspende für die Textwochen 38/39 des Jahres 2022 stammt von Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Sie lautet:

Regentonne
sensibel
schwanken.


Der Tropfen zum Überlaufen

Gefühlt lag sie bereits seit Stunden wach in ihrem Bett und suchte verzweifelt nach Schlaf. Doch er ließ sie nicht schlafen. Immer wieder schlichen sie ihre Gedanken zu ihm hin und ein tiefer Schmerz überkam sie.

Wie hatte er so gemein sein können? Wie hatte er sie mit ihrer besten Freundin betrügen können? Ihre Gedanken schwankten zwischen Wut, Trauer und Verzweiflung.

Der strömende Regen schien ihr passend für ihre Stimmung. Gerade als sie einschlafen wollte, schien sich der monotone Klang des Regens jedoch zu verändern. Sie lauschte in die Nacht hinein. Spielte die Regentonne etwa gerade ihr Lied? Das Lied, bei dem sie sich damals zum ersten Mal geküsst haben? Nein, die alte Regentonne tropfte einfach nur vor sich hin, wie sie es immer tat, oder? Sie drehte sich herum, doch ihre Ohren waren nun ganz sensibel auf jedes rhythmische Geräusch fixiert.

Der Rauschen der großen Birke, das Klopfen der Regentropfen an die Fensterscheiben und das Plätschern in der Regentonne. Sie zuckte zusammen. Da war es wieder. Dieses unbestimmte Plätschern und sofort durchflutete sie die Melodie.

„Nein, nein“, sagte sie und zog sich das Kissen über den Kopf, um sich darunter zu begraben, doch das rhythmische Tropfen und Plätschern schien nur noch lauter zu werden. Sie bekam diese Melodie einfach nicht aus ihrem Kopf.

Sie stand auf und ging zur Terrasse. Im Licht der Straßenlaterne konnte sie sehen, wie stark es regnete. Hier im Wohnzimmer war der Rhythmus noch stärker zu hören. Es sah nicht so aus, als würde der Regen bald nachlassen. Es gab nur eine Möglichkeit.

Sie trat in den Regen hinaus, ging zur Hausecke und mit all der Wut und all ihrer Kraft trat sie die Regentonne um.

Das Nachthemd klebte bereits an ihr, als sie ihr Werk betrachtete.

Sie lauschte in die Nacht.