abc-Etüde, Sonderangebot

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer.

Die Wörter für die Textwochen 10/11 des Schreibjahres 2021 stiftete René mit seinem Blog BerlinAutor. Sie lauten:

Klassenkeile
schwammig
trödeln.


Sonderangebot

Er ging zum dritten Mal an dem Spirituosenregal vorbei. Er hatte das Gefühl, dass ihm jeder hier im Supermarkt ansehen konnte, was er vor hatte. Es fühlte sich an, als wäre es ihm inzwischen auf die Stirn geschrieben. Wie könnte er auch nur den kleinsten Funken Hoffnung haben, mit heiler Haut aus der Sache hier rauszukommen.

Die Jungs draußen würden sicher schon ungeduldig werden und denken, dass er hier drinnen nur herum trödelte. Doch er brachte es einfach nicht fertig. Er schwitzte, seine Hände waren kalt und klamm, seine Knie so schwammig, dass er kaum drei Schritte ohne zu Taumeln schaffte. Seine Kehle war ganz trocken und brannte.

Er sah sich um. Wenn es hier irgendwo Kameras gab, hatten sie ihn bestimmt schon im Visier. Es war einfach viel zu auffällig, wie er hier vor dem Regal auf und ab lief. Es musste aussehen, als würde ein Tiger in einem viel zu kleinen Käfig seine Kreise drehen. Er machte eine Runde um das Tierfutterregal.

Er wusste nicht was schlimmer sein würde. Entweder hier als Ladendieb erwischt zu werden oder ohne Whiskey rauszugehen und sich die Klassenkeile abzuholen. Bisher hatten sie nur damit gedroht, aber er wusste, dass es auch schon handfeste Auseinandersetzungen gegeben hatte. Gegen Stefan und seine Kumpel hatte er keine Chance, das wusste er.

Die Angst stieg in Wellen in ihm auf. Fast hätte er sich vor dem Katzenfutterregal erbrochen.

Er musste sich jetzt entscheiden.

Als er wieder vor dem Spirituosenregal stand, schloss er kurz die Augen, holte tief Luft und griff nach einer Flasche, als hinter ihm eine Stimme sagte: „Junger Mann…“

abc-Etüde, Eine Klasse für sich

Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer.

Die Wörter für die Textwochen 10/11 des Schreibjahres 2021 stiftete René mit seinem Blog BerlinAutor. Sie lauten:

Klassenkeile
schwammig
trödeln.


Eine Klasse für sich

Sie stand inzwischen fast zwanzig Minuten vor dem Spiegel. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden. Es war klar, dass es soweit kommen würde, aber irgendwie hatte sie gehofft, dass irgendjemand es stoppen, es abwenden würde. Immer wieder hatte sie sich gesagt, dass das doch niemand ernsthaft wollen würde.

Natürlich hatte es die üblichen Mitläufer gegeben, die bereits im vorauseilenden Gehorsam getan hatten, was ab heute Vorschrift war. Auch wenn die Regeln im Vorfeld nur schwammig formuliert waren, wussten sie alle, worauf es hinauslaufen würde.

Sicher, es hatte schon immer Konkurrenzen gegeben, mal mehr und mal weniger. Aber nun, wo jede Zugehörigkeit so offensichtlich zur Schau gestellt werden würde, würden die Abgrenzungen und Anfeindungen deutlich zunehmen.

Genau das war ihr eigentliches Problem. Sie fühlte sich nicht zugehörig. Zumindest zu nichts von dem, was sie hier im Internat vorfand. Mit ihrer Zimmergenossin kam sie gerade so klar, aber sonst war sie eher eine Außenseiterin. Und nun sollte sie plötzlich ein sichtbarer Teil von etwas sein?

Trödel nicht so! Wir kommen noch zu spät“, rief ihre Zimmergenossin.

Sie griff nach einem Schal in der Hoffnung, er könne helfen, das heute offensichtlich Gewordene zu verbergen. Doch sie wusste sofort, dass es inzwischen viel zu warm dafür sein würde. Sie hatte wohl doch keine Wahl.

Sie zupfte noch etwas am Kragen herum, doch er ließt sich einfach nicht verbergen. Der Klassenkeil*, der sie nun eindeutig als Mitglied der Klasse 10c auswies, war derartig in den Kragen der Schuluniform eingenäht, dass ihn nichts verdecken konnte.

*Keil: in einem Kleidungsstück einnähen, eingenähtes dreieckiges Stück Stoff