
Das Etüdensommerpausenintermezzo II ist ein Schreibimpuls von Christiane auf Irgendwas ist immer.
Die Regeln:
1. 7 von 12 Wörter verwenden
2. Die Geschichte spielt, zumindest zu einem Teil, an einem echten Gewässer.
3. Die Textlänge ist dieses Mal nicht begrenzt.
Die Worte:
Dachbegrünung – Eigentor – Fliegenklatsche – Glühwürmchen – Konzert – Lebensgeister – Regen – Similaungletscher – Sommerloch – Wasserläufer – Wetterleuchten – Willkür
Herr der Mücken
Er saß mit seinem Kaffee und seiner Fliegenklatsche auf der überdachten Gemeinschaftsterasse des streng ökologisch korrekt errichteten Co-Working Space und schaute in den Regen. Sein Kaffee: Filterkaffee, schwarz, ohne Zucker. Er hatte seit den drei Monaten, in denen er hier verkehrte, noch niemanden getroffen, der seinen Kaffee auf diese Weise trank. Die Fliegenklatsche? Die Anzahl der Mücken, selbst hier im zweiten Stock waren kaum zu ertragen. Er führte das auf die Dachbegrünung zurück, die ein solches CO2-neutrales Haus natürlich haben musste. Aber natürlich war er der einzige mit einer Fliegenklatsche. Er wusste nicht, wie die anderen es schafften nicht von den Mücken zerstochen zu werden, aber er wusste, dass sie ihm nie verzeihen würden, dass er letzte Woche ein Glühwürmchen erschlagen hatte. Es war ein Versehen. Dass es ein Glühwürmchen war, zeigte sich erst, als es auf dem Tisch niedergestreckt noch einmal kurz aufleuchtete. Es hatte ihm leid getan, aber das hatte keinen interessiert.
Er galt hier ohnehin als komischer Kauz, weil er so anders war, als die jungen hippen selbstständigen Gründer:innen oder die Scheinselbstständigen der start ups. Er versuchte ein wenig so zu sein wie sie, aber es misslang.
Er hatte den Co-Working-Space gegründet und arbeitete offiziell daran, solche Spaces auch auf Schiffen einzurichten. Sein start up „Wasserläufer“ war zwar noch in der Vorbereitung, aber schon jetzt wurde erwartet, dass er für ein großes „Wetterleuchten“ am start up Himmel sorgen würde.
Schon beim Start dieses Spaces mit dem Namen „Will-Kür“ hatte er für ordentlich Aufsehen gesorgt. Nicht nur, dass das Haus quasi autark war und direkt am Ufer der schönen Spree lag, nein er hatte zum Auftakt den Rapper Capital Bra für ein kleines Konzert auf der Terrasse gewinnen können. Im Interview mit der Abendschau hatte er gesagt: „Wir heißen Will-Kür, weil hier der Wille keine Pflicht, sondern die eigene Kür ist. Und damit wir in den Räumen auch gleich die richtigen Lebensgeister wecken, haben wir einen Künstler gesucht, der dieses Motto verkörpert.“ Am nächsten Tag war er in allen Tageszeitungen und eine Woche später war das „Will-Kür“ für die nächsten zwei Jahre ausgebucht. Dass der Rapper nur wegen des Sommerlochs und nur für einen zusätzlich zur Gage organisierten Luxus-Urlaub am Fuß des Similaungletschers gekommen war, durfte natürlich keiner wissen, denn kein start up hätte sich das leisten können.
Aber er war kein wirkliches start up. Die Mietverträge im „Will-Kür“ zwangen alle, das vorinstallierte W-Lan des Hauses mit der entsprechenden Sicherheitssoftware zu nutzen. Er händigte allen Teilnehmenden entsprechende Sicherheitsunterlagen aus, damit sie nicht merken konnten, was für ein Eigentor sie sich in der wichtigsten Phase ihrer Unternehmensgründung schossen. Denn was niemand auch nur ahnte, war, dass er von einer großen Unternehmensberatung finanziert wurde, welche über das Einfallstor des hauseigenen W-Lan’s und der Sicherheitssoftware Zugriff auf alle in der Cloud gespeicherten Daten und auf alle im Haus geführten Korrespondenzen, egal ob per Mail, Chat oder mit dem Handy, hatten. So konnte jederzeit reagiert werden, wenn eine Idee besonders innovativ oder für die eigenen Kunden gefährlich war. Sie konnten jederzeit start ups fördern oder blockieren, ganz so, wie sie es für die Zwecke des eigenen Wachstums förderlich war. Für ihn war jedes start up hier eine Mücke und er hatte eine Fliegenklatsche.
Oh. Das ist gar nicht so unrealistisch, glaube ich. Okay, du bewegst dich jenseits der Gesetze, aber selbst bei den „normalen“ kostenlosen Mailanbietern willigt man ja inzwischen ein, dass Mails nach Schlagwörtern durchsucht/gelesen werden, glaube ich. Sehr interessant und scheint mir nicht weit hergeholt. 🤔😉
Samstagmorgenkaffeegrüße! 😁🌥️🌳🌼☕🍪👍
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Ich glaube, dass wir viel mehr von uns preisgeben, als uns bewusst ist. Die Bequemlichkeit einer smarten Welt ist leider auch nicht ungefährlich.
Secondcoffee-Grüße ☕️🌻😊
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Ja, tun wir, das ist inzwischen fast schon eine Binsenweisheit, das denke ich auch. 😁☕🍪👍
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Die gläserne Welt rückt immer näher und der Spruch „sollen sie doch, ich habe nichts zu verbergen“ gilt schon lange nicht mehr, weil die Strippenzieher uns mit den Schlingen fest im Griff haben und teilweise über unsere Bedürfnisse und Gewohnheiten steuern.
Dein Szenario halte ich für seht realistisch!
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Haben wir nicht alle unsere kleinen Geheimnisse? Oder eben auch nicht mehr. 😊
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Eieiei… das ist ziemlich realistisch, fürchte ich. Gut geschrieben, ich hatte so ein kleines, unangenehmes Gefühl bei der Pointe, so soll es sein. 🙂
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Vielen Dank! Schön, dass es gelungen ist so einen „Moment mal…“-Gedanken zu erzeugen. 😊🙏🌻
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