
Die abc-Etüden sind eine Schreibeinladung von Christiane auf: irgendwas ist immer
Die Wörter für die Textwochen 08/09 des Schreibjahres 2021 stiftete Sabine mit ihrem Blog wortgeflumselkritzelkram. Sie lauten:
Strickjacke
trügerisch
entdecken.
Glücksbringer
„So!“
„Oh nein! Du hast den alten Fetzen angezogen.“
„Hey, das ist die Strickjacke meiner Uroma.“ Sie dachte an ihre Uroma, die sie nur aus Videos kannte. Viele zeigten sie in dieser Strickjacke, malend in ihrem Atelier. Als sie die Wohnung damals ausgeräumt hatten, hatte sie die Jacke entdeckt und beschlossen, Künstlerin zu werden. Doch dann kam so vieles so anders.
„Schalt endlich den Live-Stream ein“, sagte sie.
Der wandgroße Screen ging an und zeigte ein Studio mit zwei lächelnden Moderatorinnen. Die Freundlichkeit war trügerisch. In den nächsten Minuten ging es um nicht mehr und nicht weniger, als um ihre Zukunft. Seit dem großen „Künster*innensterben“ in den 2020er-Jahren, konnte man nur noch mit Genehmigung Künstler*in werden. Es gab gerade so viel Plätze, wie die Regierung bereit war, zu finanzieren.
„Willkommen zur jährlichen Künstler*innenlotterie.“
Sie zuckte zusammen. Es klang, als würden hier Künstler*innen verlost werden.
„Nach den aktuellen Beschlüssen der Regierung werden in diesem Jahr 116 Künstler*innenplätze verlost.“
„Was?“, schrie sie. „Warum nur so wenig? Letztes Jahr waren es fast 400?“
„Bleib ruhig, sagte er. „Du kannst eh nichts ändern.“
Sie wickelte sich in ihre Strickjacke ein. Dies war ihre vierte und letzte Chance. Wenn sie jetzt keinen Platz bekam, würde man ihr eine Arbeitsstelle zuweisen. Sie strich zitternd über die Strickjacke an ihren Armen.
Die beiden Damen drückten einen ominösen roten Buzzer, der an frühere Sendung aus dem sogenannten Fernsehen erinnern sollte.
„Die Gewinner*innen stehen fest“, rief eine der beiden Damen fröhlich. Die beiden Moderatorinnen lasen die Namen der Gewinner*innen in alphabetischer Reihenfolge vor.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie beim Buchstaben R angekommen waren.
„Es sind schon 108 Plätze weg“, sagte er nervös.
„Die Gewinner*innen mit dem Buchstaben R sind …“ schallte es durch den Raum.
Was für eine furchtbare und gruselige Vorstellung, die du grossartig und plastisch beschrieben hast.
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Vielen Dank! Zum Glück lassen sich echte Künstler*innen ja nicht wirklich in staatliche Systeme pressen. 😊🙏🌻
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So eine Zukunft wünsche ich mir auch nicht, da bin ich ganz bei dir. Bei dieser Etüde stört es mich, dass du das Ende offen gelassen hast, obwohl es mir klar war, dass du das tun würdest. Mich stört auch ihr Schwarz-Weiß-Denken: Kann man in der Zukunft nur noch „Künstler“ von Staats Gnaden sein, kann man nicht mehr zu Hause für sich malen, schreiben etc.?
Unterstützungen fließen ja jetzt schon nicht so üppig …
Morgenkaffeegrüße, gähnend 😁🌥️☕🍪👍
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Na so langweilig, war die Etüde nun doch hoffentlich nicht. 😊
Echte Künstler*innen sind sicher keine, von Staats Gnaden. Aber es kommt immer darauf an, wie viel Freiraum gelassen wird und wie das Künstler*innen sein definiert wird. Ist es Kunst im eigenen Kämmerlein zu Schreiben und zu Malen? Vielleicht, aber ist man dann auch Künstler*in, wenn man es so fernab der Gesellschaft tut?
Ich glaube leider auch, dass es Systeme gibt, in denen man sich entscheiden muss Küsntler*in von Staats Gnaden zu sein, oder kein*e Kunst ausüben zu können.
Frische Morgengrüße 😊🙏🌻
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Neee, ich bin nur noch nicht so ganz wach 😉
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Na dann gebe ich noch mal ne Runde Kaffee aus. 😊☕️☕️☕️🍪
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Wie immer spannend! War das eine Zukunftsschau?
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Ich hoffe doch nicht! Also, vielleicht ist es eine der unendlich vielen möglichen Zukünfte. Und hoffentlich eine, die es nicht geben wird.
Danke! 😊🙏🌻
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Nein, ich denke, das war eher eine Rückschau in alte DDR Zeiten. Dort war das erklärte Ziel in der Kunst ja der „Sozialistische Realismus“, und nur der wurde gefördert, der sich diesem Staatsziel unterordnete. Sehr schön vor einigen Monaten nachempfunden in dem Film „Werk ohne Autor“, der auch im Dezember 2020 in der ARD gezeigt wurde.
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Habe den Film auch gesehen. Nichts gegen „Auftragsmalerei“, aber das schon irgendwie erschreckend.
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